Intendierte Lernergebnisse
In den letzten Jahren hat sich auch in Österreich, in der Schweiz und in Deutschland in der öffentlichen Debatte eine Kontroverse über die sogenannte kulturelle Aneignung entwickelt. Kritiker:innen argumentieren, dass die Übernahme von kulturellen Elementen aus anderen Kulturen durch Personen aus privilegierten Gruppen Ausdruck von Herrschaft und Diskriminierung ist. Demgegenüber wird argumentiert, dass kulturelle Aneignung ein Ausdruck der kulturellen Vielfalt und des Austauschs zwischen verschiedenen Kulturen ist. Diese Kontroverse ist auch für die Empirische Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie von Bedeutung, da sie die Frage nach dem Wesen von Kultur und dem Verhältnis von Kulturen zueinander aufwirft. Die Teilnehmer:innen des Seminars werden in die Lage versetzt,die Kontroverse über kulturelle Aneignung aus einer empirisch-kulturwissenschaftlichen/kulturanthropologischen Perspektive zu verstehen,die verschiedenen Kulturbegriffe, die in der Kontroverse verwendet werden, zu unterscheiden und zu diskutieren,die Implikationen der Kontroverse für das kulturelle Feld und die Gesellschaft zu analysieren,eigene Positionen zu Fragen der kulturellen Aneignung zu entwickeln.Ziel ist es, einen differenzierten Blick auf das Thema kulturelle Aneignung zu entwickeln und die gesellschaftliche Bedeutung dieser Debatte zu verstehen (etwa im Sinne von Hermann Bausinger: Kultur als die andere Seite des Sozialen).
Lehrmethodik
Das Seminar wird sich mit dieser Fragestellung anhand theoretischer Beiträge und empirischer Beispiele aus den Themenfeldern der Empirischen Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie, der Postkolonialismusforschung und der Cultural Studies beschäftigen.
Inhalt/e
Die Empirische Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie hat sich traditionell (in Abgrenzung und Überwindung einer völkisch und identitär argumentierende Volkskunde) mit der Untersuchung von kulturellen Prozessen der Vermischung und Aneignung beschäftigt. In diesem Seminar soll daher untersucht werden, welche Implikationen die Debatte über kulturelle Aneignung für ein transkulturelles Verständnis von Kultur hat. Im Mittelpunkt des Seminars stehen folgende Fragen:Welche spezifischen Fragen ergeben sich aus der Kontroverse über kulturelle Aneignung für eine Empirische Kulturwissenschaft?Welche Implikationen hatte diese Kontroverse für das kulturelle Feld (Mode, Musik, Literatur, Film, Theater sowie der Populärkultur ganz allgemein), das in einem großen Maß von Vermischungen und Aneignungsprozessen geprägt ist?Welche Kulturbegriffe liegen der Kontroverse zugrunde? Und inwiefern tragen diese unterschiedlichen Verständnisse von ‚Kultur‘ dazu bei, Machtverhältnisse entweder sichtbar oder unsichtbar zu machen?Welche Identitätskonstruktionen liegen den Kontroversen zugrunde?Welche sozialen und ökonomischen Aspekte beinhalten die mit der Debatte um kulturelle Aneignung eng verbundenen Kontroversen über ‚Wokeness* oder ‚Cancel Culture‘? Gibt es – wie Anhänger:innen eines universalistischen Standpunktes einwenden, Berührungspunkte zwischen dem postkolonialen und rechtsextremistisch-völkischem Kulturalismus?
Erwartete Vorkenntnisse
Für die Teilnahme am Seminar ist die Bereitschaft zur Lektüre theoretischer Texte und die Neugier ihrer Anwendung im kulturellen Feld erforderlich.
Literatur
Balzer, Jens (2022): Ethik der Appropriation. Berlin.Distelholz, Lars (2021): Kulturelle Aneignung. HamburgHahn, Hans Peter (2011): Antinomien kultureller Aneignung: Einführung. In: Zeitschrift für Ethnologie , 2011, Bd. 136, H. 1 (2011), 11-26 Online verfügbar: https://www.jstor.org/stable/41941005