Intendierte Lernergebnisse
Einführung in die Vorlesungen von Michel Foucault zur „Geschichte der Gouvernementalität“Reflexion der Relevanz dieses „wirkmächtigen Konzepts der modernen Sozialwissenschaften“ für die Erziehungs- und KindheitswissenschaftenRecherche der aktuellen Rezeption dieses Konzepts in den Erziehungs- und Kindheitswissenschaften
Lehrmethodik
Inputs der LV-Leiterin(gemeinsames) Lesen von Primär- und SekundärliteraturPräsentationen/Kurz-Inputs durch StudierendeGruppenarbeiten/Plenumsdiskussionen
Inhalt/e
Was ist Gouvernementalität?Reflexion der Verflochtenheit von Gouvernementalität als Regierungsform der „Sicherheitsgesellschaft“ und der „Geschichte der Kindheit“ bzw. PädagogikWelche Bedeutung hat Gouvernementalität für gegenwärtige Felder der Wissenschaft, Erziehung, Bildung, Sozialen Arbeit?„Mit dem 16. Jahrhundert treten wir in das Zeitalter der Verhaltensführungen, […] in das Zeitalter der Regierungen ein.Und Sie verstehen, warum es ein Problem gibt, das zu dieser Zeit eine größere Intensität angenommen hat als die anderen, wahrscheinlich, weil es sich genau am Kreuzungspunkt dieser unterschiedlichen Formen von Leitung befand […]. Und dies ist das Problem der Institution der Kindheit. Das pädagogische Problem: Wie die Kinder führen? […] Die fundamentale Utopie, der Kristall, das Prisma, durch das hindurch die Probleme der Leitung wahrgenommen werden, ist dasjenige der Institution der Kindheit.“ (Foucault 2020: 336)Kindheitswissenschaft und Erziehungswissenschaft sind zwei Beispiele der zahlreichen neuen humanwissenschaftlichen Disziplinen, die ab dem 18. Jhd. nicht aus einem reinen, zweckfreien Interesse am Wissen entstehen. Die „große Transformation“ (Foucault 1977), die genau in der Zeit stattfindet, die auch „das ‚pädagogische Jahrhundert‘“ (Tenorth 2008: 78) genannt wird, erfordert neue und erweiterte Kenntnisse des Menschen und seines ‚Wesens‘, welche durch die „klinischen“ und „empirischen Wissenschaften“ und deren Institutionen generiert werden (Foucault 1977: 288, 382). „[D]as Kind, der Kranke, der Wahnsinnige, der Verurteilte werden seit dem 18. Jahrhundert (…) immer häufiger zum Gegenstand individueller Beschreibungen und biographischer Berichte.“ (Ebd.: 247) Foucault nennt es die „Geburt des Menschen als Wissensgegenstand“ und entwickelt eine „Korrelationsgeschichte (…) der Machtverhältnisse und der Erkenntnisbeziehungen“ (ebd.: 33 f.).Gouvernementalität versteht Regierung als einen sich permanent im Subjekt aktualisierenden Prozess. „[D]ie Gouvernementalitätsperspektive operiert als Scharnier im Dreieck von Macht, Wissen und Subjektivität“ (Angermüller; van Dyk 2010: 9). Gouvernementalität ist also eine Forschungsperspektive, die besonders zur Untersuchung der „Macht-Wissen-Komplexe" geeignet ist und dafür “wie Herrschaftstechniken sich mit ‚Technologien des Selbst‘ verknüpfen“ (Lemke; Krasmann; Bröckling 2000: 8).
Literatur
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