Intendierte Lernergebnisse
Die Studierenden bekommen einen Überblick zur Wissens- und Gesellschaftsgeschichte der Heimatwerk-Bewegung – und damit Einblicke in historische Aspekte von Konsum und populärer Ästhetik, in die Geschichte und Gegenwart musealer Sammlungen und in Prozesse der Konstruktion regionaler Identitäten.In selbstdurchgeführten Fallstudien erweitern die Studierenden ihre Kompetenzen in historischer Recherche sowie in Methoden der Feldforschung und des qualitativen Interviews. Sie lernen Ethnographie als "Befremdung der eigenen Kultur" (Hirschauer/Amann) kennen.Die Studierenden werden für die Notwendigkeit eines kritischen Umgangs mit dem selbsterzeugten empirischen Material sensibilisiert, d.h. es geht darum, die diesem eingeschriebenen normativen Wertungen nicht fortzuschreiben.Die Studierenden denken über einen angemessenen analytischen Umgang mit den "unheimlichen" Kontexte der Heimatwerk-Bewegung im antidemokratischen Regimen nach und werden für Verbindungen von nationalen Grenzziehungen und Gender sensibilisiert.
Lehrmethodik
Das Seminarthema ist grob vorstrukturiert, aber nicht in jeder Hinsicht "vorgegeben". Gemeinsam soll ausgelotet und ausprobiert werden, unter welchen Aspekten und mit welchen Zugängen Heimatwerke thematisiert und analysiert werden könnten. Voraussetzungen dafür sind die gemeinsame Diskussion und Lektüre von Forschungsliteratur und die Sichtung und Reflexion ausgewählter Quellenbestände (u.a. Publikationen und Nachlassmaterialien von Franz Carl Lipp [1913–2002]). Die Studierenden sind eingeladen, eigene Recherchen durchzuführen, und werden bei ihren Arbeiten daran begleitet und unterstützt. Begegnungen und Schwierigkeiten im Feld werden in der Gruppe reflektiert.Wichtig für das gemeinsame Vorhaben ist ein Klima gegenseitiger Wertschätzung und Ermutigung in der Gruppe. Das Lustvolle am Arbeitsprozess soll gefördert, das Angstbesetzte verringert werden.
Inhalt/e
Waren Sie schon einmal in einem Heimatwerk? Heimatwerke sind Läden, in denen "heimische" und "heimatliche" Waren angeboten werden. Im Kärntner Heimatwerk zum Beispiel gibt es "Heimat" als Tongefäß, Weihkorbdecke und Taufkleid, als Bienenwachskerze und Kärntnerlied-CD. Und "Heimat" zum Anziehen ist auch zu haben, sei es als "erneuerte Lavanttaler Tracht", "Original-Jubiläums-Kärntner-Anzug" oder "Biosphärenpark-Dirndl". Was aber soll das sein, eine Heimat, ein Werk, ein Heimatwerk? Und was ist daran für Empirische Kulturwissenschaftler:innen spannend, die Heimat – den "Ort, an dem noch nie jemand gewesen ist" – kritisch-distanziert betrachten? Zumal "Heimat", dieser spezifisch deutschsprachige Begriff, beinah zwangsläufig eine affektgeladene Beziehung von Menschen und Räumen nahelegt und aktuell vermehrt von rechtsextremen Parteien und Aktivist:innen in Beschlag genommen wird?Dem geht das Proseminar nach – historisch und gegenwartsbezogenen. Die Anfänge der Heimatwerk-Bewegung gehen ins ausgehende 19. Jh. zurück, als zur Minderung sozialen Elends Husflid (norwegisch) bzw. Hemslöjd (schwedisch) organisiert wurde – etwas, das im deutschsprachigen Raum Hausfleiß und Hausindustrie hieß. Welche sozialpolitischen, ideologischen und kommerziellen, aber auch wissenschaftsgeschichtlichen Aspekte spielten anfangs in diese Entwicklungen hinein? Und wie transformierte sich die Hausfleiß-Idee auf ihren späteren transnationalen Verbreitungswegen, im Nahbereich der deutschsprachigen Heimatschutz-Bewegung etwa? Zu den Heimatwerken in Österreich – öfters im Umfeld regionaler volkskundlichen Museen bzw. Museumsabteilungen entstanden – gibt es noch Forschungslücken. Ein Beispiel dafür ist das Kärntner Heimatwerk, das 1939 gegründet wurde und 1953 unter diesem Namen ein Revival erlebte. Wie verhielt sich die nicht stets und a priori, aber doch häufig ausgeprägte Nähe der Heimatwerke zu konservativem und deutschnationalem Gedankengut zu Tendenzen einer Europäisierung dieses Institutionen nach 1945? Einer Europäisierung allerdings, die kaum jemals die vormals sozialistischen Staaten in Europa einbezog?Heimatwerke waren einmal ein Aktionsfeld "angewandter Volkskundler:innen", die zu wissen glaubten und dann auch zu beglaubigen wussten, was "echt" war – im Unterschied zum "Kitsch", mit dem sie sich im distinktiven Dauer-Clinche befanden. Seit den 1960er Jahren jedoch haben eine modernisierte Volkskunde (wie sie heute u.a. an den Universitäten vertreten wird) und die Heimatwerke einander den Rücken zugekehrt. Welche Aktionsfelder findet vor diesem Hintergrund eine neue ethnografische Aufmerksamkeit für Ökonomien des Heimisch-Heimatlichen – in ihren Verbindungen zu Vorstellungen und Praktiken "regionaler Identität" und kulturpolitischer "Volkskultur"-Förderung – vor? Im Proseminar versuchen wir auf Tuchfühlung mit Produzent:innen, Händler:innen, Kund:innen zu gehen und über ihre "Politiken der Heimat und Praktiken der Beheimatung" (Beate Binder) nachzudenken. Es geht um Möglichkeiten und Grenzen eines kritisch-verstehenden, nah-distanziert hinschauenden und hinhörenden Zugangs zu Heimatwerken. Auch auf die "Gefahr" des Scheiterns hin.
Literatur
Binder, Beate (2020): Politiken der Heimat, Praktiken der Beheimatung, oder: warum das Nachdenken über Heimat zwar ermattet, aber dennoch notwendig ist. In: Bönisch, Dana u.a. (Hrsg.): Heimat Revisited. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf einen umstrittenen Begriff. Berlin: De Gruyter: 85–105.Brückner, Wolfgang (1987): Heimatkunst. Die Entdeckung von Volkskunst zwischen Heimatwerk-Bewegung und Volkswerk-Forschung. In: Weingand, Katharina (Hrsg.): Heimat. Konstanten und Wandel im 19./20. Jahrhundert. Vorstellungen und Wirklichkeiten (= Alpines Museum des Deutschen Alpenvereines. Schriftenreihe. Band 2). Ottobrunn: Bergverlag Rother 1997: 113–139.Hirschauer, Stefan/Amann, Klaus (Hrsg.) (1997): Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischen Herausforderung soziologischer Empirie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.Huemer, Helmuth (1992): Anmerkungen zur Entstehung der Heimatwerke in Österreich. In: Oberösterreichische Heimatblätter 46(2): 253–262.Kammerhofer-Aggermann, Ulrike (1996): Die Anfänge der Salzburger Heimatwerks- und Heimatpflegeidee. In: Haas, Walburga (Hrsg.): Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. Referate, Diskussionen, Archivmaterial, Bericht zur Tagung am 18. und 19.11.1994 in der Salzburger Residenz (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde. Band 8). Salzburg: Salzburger Landesinstitut für Volkskunde: 81–119.Schönberger, Klaus u.a. (Hrsg.) (2024): Heimat. Beiträge zu einem Ort, an dem noch nie jemand gewesen ist (= Klagenfurter Interdisziplinäres Kolleg. Band 12). München/Wien: Profil Verlag.Schramm, Manuel (2002): Konsum und regionale Identität in Sachsen 1880–2000. Die Regionalisierung von Konsumgütern im Spannungsfeld von Nationalisierung und Globalisierung (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte Nr. 164). Wiesbaden: Franz Steiner Verlag.Ständecke, Monika (2004): Das Deutsche Heimatwerk. Idee, Ideologie und Kommerzialisierung (= Bayerische Schriften zur Volkskunde. Band 8; zugl. Dissertation, Universität Würzburg 2002). München: Institut für Volkskunde.Weingand, Hans-Peter (2017): "Echte Erzeugnisse bodenständiger Heimatkunst". Vorgeschichte, Aufbau und Entwicklung des Steirischen Heimatwerks. In: Jahrbuch der Steirischen Volkskultur 2017: 160–187.Weissengruber, Thekla: "Vom Glück in grünen Strümpfen". Franz C. Lipp und die "angewandte Volkskunde". In: Euler, Andrea/Prokisch, Bernhard (Red.): Der Volkskundler Franz C. Lipp (1913–2002). Beiträge zu Leben und Werk (= Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich. Band 39). Linz: Land Oberösterreich/Oberösterreichisches Landesmuseum: 129–176.